Digitaler Produktpass: „Besser heute als morgen anfangen“
Transparenz über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes zu schaffen – das ist das Ziel des Digitalen Produktpass (DPP), der voraussichtlich 2026 in Deutschland für erste Produktgruppen verpflichtend ist. Der Lieferketten-Demonstrator vom Mittelstand-Digital Zentrum Smarte Kreisläufe zeigt mittelständischen Unternehmen Lösungswege auf, kommende Regulierungen zu erfüllen.
Christian Boltersdorf vom Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen University, ITA, erklärt im Interview, wie das ITA am Projekt beteiligt ist, wie die Nachhaltigkeit der Prozessschritte bewertet werden kann und warum KMU sich besser heute als morgen mit dem Thema befassen sollten.
Herr Boltersdorf, das ITA arbeitet als Projektpartner vom Mittelstand-Digital Zentrum Smarte Kreisläufe ebenfalls mit am Demonstrator zum Thema Transparenz in der Lieferkette. Welche Arbeitsschritte erfolgen dabei in Aachen und wie unterstützen Sie persönlich das Zustandekommen der digitalen Lösung?
Für den Demonstrator haben wir eine repräsentative textile Lieferkette mit mehreren Zwischenschritten ausgewählt. Das ITA bildet in dieser Kette die Gewebeherstellung ab. Für das gewählte Endprodukt werden aus angelieferten Spulen bei uns Gewebe hergestellt und zur nachfolgenden Beschichtung weitergeschickt. Wir möchten dabei zeigen, wie über die einzelnen Arbeitsschritte sinnvoll Daten aufgenommen und weitergegeben werden können.
Welche Maschine kommt beim Weben zum Einsatz und welche Daten können im Herstellungsprozess am ITA erfasst werden? Welche Technologie kommt hier zum Einsatz?
Wir verwenden in diesem Demonstrator eine kleine Bandwebmaschine, die noch sehr wenig digitalisiert ist. Wir möchten in unserem Demonstrator den Unternehmen der Branche zeigen, dass sich auch mit einfacher Sensorik und wenig Aufwand schon sinnvolle Daten über den eigenen Prozess und zur Bewertung der gesamten Prozesskette aufnehmen lassen.
Die Gewebebreite von ca. 6 cm genügt für die Endanwendung und ist auf die an den anderen Standorten verfügbaren Anlagen in der Beschichtung und Weiterverarbeitung abgestimmt. Die Kettfäden werden direkt von einem Spulengatter zugeführt, damit wir den Einfluss des Spulprozesses für jede einzelne Spule anschaulich darstellen und durch das Gewebe verfolgen können.
Wir erfassen in unserem Prozessschritt vor allem, ob und wie schnell die Webmaschine gerade produziert, wie viel Garnmaterial in Kett- sowie Schussrichtung verbraucht wird und wie viel Energie die Maschine dabei benötigt. Daraus können wir die Nachhaltigkeit des Prozessschritts bewerten, indem wir CO2-Äquivalente bezogen auf die produzierte Gewebemenge berechnen. Also Gramm CO2 pro kg Textil, weil das eine sinnvolle Bezugsgröße für alle Beteiligten entlang der Prozesskette darstellt und für den Kunden später gut nachzuvollziehen wäre.
Darüber hinaus erheben wir Qualitätsdaten, indem wir die verwendeten Spulen anhand ihrer Kennzeichnung zu Beginn einscannen und die transparente Lieferkette mit unserem Gewebe fortschreiben.
Für Unternehmen steht der Schutz ihrer Daten vor unberechtigtem Zugriff im Fokus. Wie können die erhobenen Daten später transparent und trotzdem sicher über Unternehmensgrenzen hinweg Geschäftspartnern zur Verfügung gestellt werden?
Bei uns werden alle erhobenen Daten über unseren Prozessschritt zuerst lokal auf einem eigenen Server gespeichert. Es werden nur die Daten, die für die anderen Prozessschritte relevant sind (z. B. für die Berechnung der CO2-Kennzahlen oder die verwendeten Spulen zur Verfolgbarkeit der Materialströme) entlang der Kette weitergegeben. Interne Daten, z. B. über das Bedienpersonal oder Maschinenparameter verbleiben beim eigenen Unternehmen. Die Datenübertragung erfolgt außerdem verschlüsselt und passwortgeschützt, sodass nur die relevanten Stakeholder die Daten abrufen können.
Das Endprodukt wird ein RFID-Tag. Worin liegen Vorteile vom Einsatz von RFID-Tags in Prozessketten?
Das Endprodukt ist nur ein Bespiel für eine repräsentative, komplexe Prozesskette mit unterschiedlichen Zwischenschritten. RFID-Tags verwenden in ihrer Grundstruktur wie viele andere Bauteile der Informationstechnologie Leiterplatinen. Unsere Demonstratorkette basiert auf der Herstellung einer „grünen“ Leiterplatine, da gegenüber klassischen Leiterplatinen nachhaltige Materialien wie Viskosefasern verwendet werden.
Zur Datenverarbeitung entlang der Kette in den einzelnen Schritten (z. B. zum Weitergeben von Informationen, welche Spulen im Gewebe verwendet werden) untersuchen wir RFID-Technologie zudem als Hilfsmittel als Alternative zu bisher etablierten Methoden wie optische Barcodes.
Vorteile der RFID-Technologie sind z. B., dass eine große Anzahl von Datensätzen auf einmal eingelesen werden kann, z. B. mehrere Spulen (Kiste) zusammen; außerdem ist die Erfassung unabhängig von der Lage des Etiketts (Sichtkontakt).
Mit Blick auf die kommenden Anforderungen an Unternehmen im Bereich transparente Lieferketten: Was wird das Erfolgsgeheimnis des Lieferketten-Demonstrators für die Textilbranche sein?
Die Unternehmen der Textilbranche sollten eher heute als morgen anfangen, sich dem Thema zu nähern. Wer erst handelt, wenn die Vorgaben verpflichtend sind, läuft den Wettbewerbern hinterher und muss sich dann sehr schnell umstellen. Jetzt ist noch Zeit, das Thema digitaler Produktpass entsprechend freier Kapazitäten im Unternehmen auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln. Unser Lieferketten-Demonstrator wird dafür entsprechende Ideen und Lösungswege aufzeigen, an denen sich Unternehmen orientieren können. Und wir unterstützen die Unternehmen gerne auf diesem Weg.
Wird mit dem Lieferketten-Demonstrator auch das Thema Kreislaufwirtschaft abgebildet?
Wir verstehen Digitalisierung immer als Hilfsmittel zu mehr Nachhaltigkeit. Für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft müssen Herkunftsdaten der verwendeten Materialen vorliegen (z. B. ob es sich um recyceltes Garnmaterial handelt und zu welchem Anteil) und entlang der Kette bis zum Endprodukt weitergegeben werden. Unser Demonstrator orientiert sich an den Bestrebungen zur Erstellung eines digitalen Produktpasses (DPP) und schafft damit Grundvoraussetzungen für den Weg zur Kreislaufwirtschaft.
Was können kleine und mittlere Unternehmen mithilfe des Lieferketten-Demonstrators lernen?
Dass Digitalisierung nicht so kompliziert ist, wie sie oft dargestellt wird. Man kann sich dem schrittweise mit kleinen Projekten nähern, um so erst einmal z. B. die Anforderungen der EU (wie digitaler Produktpass, CO2-Übersicht, usw.) zu erfüllen und anschließend weitere Daten aufzunehmen um z. B. durch ein besseres Verständnis die Effizient oder Qualität der eigenen Produkte oder die Prozessstabilität zu erhöhen.
Herr Boltersdorf, vielen Dank für das Gespräch.
>> Lesen Sie auch Artikelserie zum Lieferketten-Demonstrator
In unserer Artikelserie zum Lieferketten-Demonstrator sprechen wir mit allen beteiligten Projektpartnern und erfahren, wie sie mitgewirkt haben, wo und vor welchen Fragen das Projekt steht und wie eine erfolgreiche Umsetzung gelingen kann. Alle bisher erschienenen Beiträge finden Sie hier.
Bei Fragen sprechen Sie uns gern an! Unsere Expertinnen und Experten unterstützen Sie und Ihr Unternehmen bei Fragen rund um Digitalisierungs-, KI- oder Kreislaufwirtschaftsthemen. Sie erreichen uns unter kontakt@mdz-sk.de.