"Künstliche Intelligenz bringt Tempo und Präzision in die Materialauswahl"

Die Wahl des richtigen Materials entscheidet oft über Erfolg oder Misserfolg eines Produkts – besonders im Bereich akustischer Anwendungen. In einem gemeinsamen Digitalisierungsprojekt unseres Partners, den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung, DITF, und dem Unternehmen TW AUDiO, geht es darum, ein KI-gestütztes Vorhersagemodell aufzusetzen, das ideale Materialparameter automatisiert bestimmen soll. Tobias Hecht, Projektleiter an den DITF, erklärt im Interview, worin die Herausforderungen liegen und welches Potenzial die neue Methode birgt.
Herr Hecht, warum spielt die Materialauswahl bei akustischen Produkten wie Lautsprechern eine so zentrale Rolle?
Tobias Hecht: Materialien beeinflussen nicht nur physikalische Eigenschaften wie Stabilität oder Gewicht, sondern auch, wie sich ein Produkt anfühlt, klingt oder aussieht. Gerade im Audiobereich ist das entscheidend: Ein Gehäuse oder eine Dämmung kann durch seine Beschaffenheit Schall reflektieren, absorbieren oder durchlassen – und wirkt sich damit direkt auf das Hörerlebnis aus.
Bislang basierte die Auswahl akustischer Materialien im Unternehmen meist auf Erfahrungswerten und zahlreichen Tests. Was genau soll sich durch das neue KI-Modell ändern?
Die Idee ist, dass wir künftig mithilfe von Künstlicher Intelligenz vorhersagen können, welche Materialeigenschaften notwendig sind, um bestimmte akustische Anforderungen zu erfüllen. Das würde aufwendige Testreihen überflüssig machen und die Entwicklungszeit drastisch verkürzen. Gleichzeitig könnten wir gezielter und effizienter geeignete Materialien auswählen.
Die Grundlage dafür bildet eine umfangreiche Messreihe. Wie wurde diese durchgeführt?
In unserem Labor hier in Denkendorf haben wir mit einem sogenannten Impedanzmessrohr gearbeitet. Dabei werden Materialproben mit Schallwellen im Frequenzbereich von 50 bis 6400 Hz beschallt. Je nach Versuchsaufbau erfassen ein oder mehrere Mikrofone, wie viel Schall das Material absorbiert oder dämmt. Diese Messdaten sind die Basis für unser physikalisches Modell.
Wie ist der Stand im gemeinsamen Projekt mit dem Unternehmen TW AUDiO?
Aktuell erstellen wir eine Datenbank mit bekannten Materialien und den zugehörigen Materialparametern und akustischen Parametern. Mithilfe des Johnson-Champoux-Allard-Lafarge (JCAL)-Modells für poröse Medien werden zusätzliche Datensätze erzeugt, die für das Training eines KI-Modelles genutzt werden können. Unser Ziel für die Zukunft ist es, eine möglichst breite Datenbasis für die Auswahl an Materialien zu erreichen.
Und dieses Modell kann aus bekannten Materialdaten akustische Eigenschaften berechnen?
Genau. Das KI-Modell bestimmt anhand der gewünschten akustischen Parameter die besten Kandidaten aus der Datenbank bzw. die idealen Materialparameter.
Das hört sich alles sehr einfach an. Gab es auch Herausforderungen bisher?
Die größte Herausforderung liegt darin, dass gängige physikalische Modelle für Wellenausbreitung in porösen Materialien wie Schaumstoff nicht ohne Weiteres auf alle Textilien übertragbar sind. Textilien unterscheiden sich in ihrer Struktur. Vliesstoffe etwa besitzen eine zufällige Faseranordnung. Gewebe haben eine regelmäßige Struktur. Hier stoßen die Standardmodelle an ihre Grenzen. Messungen mit dem Impedanzrohr zum Beispiel können nur senkrecht einfallenden Schall erfassen.
Wie gehen Sie an den DITF mit diesen Herausforderungen um?
Wir arbeiten an spezialisierten Messmethoden im Halbfreifeldraum, um das Verhalten von dünnen, richtungsabhängigen Textilien zu analysieren. Ziel ist es, räumliche und frequenzabhängige Eigenschaften zu erfassen – also wie Textilien in unterschiedlichen Konfigurationen auf Schall reagieren. Nur so erhalten wir wirklich aussagekräftige Daten. Diese neuen Ansätze ermöglichen uns, die akustischen Eigenschaften von Textilien präziser zu erfassen und zukünftige Produkte gezielter zu optimieren – etwa für den Einsatz in der Raumakustik, in Fahrzeugen oder technischen Anwendungen.
Inwiefern hilft dieser Ansatz nicht nur bei der Klangoptimierung, sondern auch beim Thema Nachhaltigkeit?
Ein großer Vorteil für das Unternehmen ist, dass es schnell abschätzen kann, welche Materialien funktional geeignet sind – das spart nicht nur Zeit, sondern auch Ressourcen. Wir vermeiden unnötige Tests, reduzieren Materialeinsatz und können Alternativen prüfen. Die Präzision, die uns die KI liefert, bringt für das Unternehmen also nicht nur technische Vorteile, sondern auch wirtschaftliche und ökologische.
Was sind die nächsten Schritte – und ließe sich dieser Ansatz auch auf andere Branchen übertragen?
Als Nächstes steht das KI-Training auf Basis unserer Mess- und Modelldaten an. Wir wollen prüfen, wie gut die Vorhersagen in realen Anwendungen funktionieren. Langfristig könnten wir den Ansatz auch auf andere Bereiche übertragen – überall dort, wo Materialeigenschaften einen funktionalen Einfluss haben: in der Fahrzeugakustik, beim Bau von Kopfhörern, vielleicht sogar im Maschinenbau oder der Medizintechnik.
Herr Hecht, vielen Dank für das Gespräch.
KI im Mittelstand
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