Nachhaltigkeit und Digitalisierung: Synergie oder Widerspruch?
Was sind die Impulsgeber für Unternehmen, um sich mit den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu befassen? Wo liegen die größten Potenziale und welche Hürden gilt es für die Unternehmen noch zu überwinden? Thomas Pfaff vom Sächsischen Textilforschungsinstitut führte gemeinsam mit Prof. Dr. Marlen Gabriele Arnold und Constanze Pfaff von der Technischen Universität Chemnitz die Umfrage „Status Quo – Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der deutschen Textilindustrie“ durch. Wir haben mit Prof. Dr. Marlen Gabriele Arnold und Thomas Pfaff über die Ergebnisse der Befragung gesprochen.
Mittelstand-Digital Zentrum Smarte Kreisläufe: Sie haben deutsche Unternehmen zum Stand ihrer Aktivitäten in den Bereichen Digitalisierung und Nachhaltigkeit befragt, den zwei Megatrends unserer Zeit. Sind die Unternehmen Ihrer Meinung nach auf einem guten Weg?
Thomas Pfaff: Unsere gemeinsame Befragung von STFI und TU Chemnitz hat gezeigt, dass sich ein Großteil der Unternehmen bereits aktiv mit diesen beiden Themen beschäftigt. Die wenigsten haben noch keine Schritte unternommen. Die Mehrheit der befragten Unternehmen hat sich schon mit den Themen auseinandergesetzt, Potenziale für das eigene Unternehmen analysiert und kommt vom Planen zum Umsetzen konkreter Schritte. Dazu gehört für jedes Unternehmen individuelle Chancen für sich zu erkennen und eventuell vorhandene Hürden zu überwinden.
Marlen Arnold: Die Unternehmen sind auf dem Weg und haben noch viel Raum für nachhaltigere Praktiken – angefangen von der strategischen Implementierung von Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie bis hin ins operative Controlling. Es gibt tolle Good Practice-Beispiele, wie die Entwicklung neuer nachhaltigkeitsausgerichteter Dienstleistungen und/oder Produkte sowie konkreten Aktivitäten im Lieferkettenengagement. Zugleich gibt es auch Unternehmen, die stehen erst ganz am Anfang, sich mit dem großen Themenfeld der Nachhaltigkeit und möglichen Synergien im Bereich der Digitalisierung auseinanderzusetzen.
Wie bewerten die befragten Unternehmen die Potenziale für sich?
Thomas Pfaff: Insbesondere die Fragen, wie Prozesse in der Produktion verbessert und Kosten reduziert werden können, sollen nach Aussage der Unternehmen mithilfe der Digitalisierung angegangen werden. Hier wird der Digitalisierung ein hohes Potenzial zugeschrieben. Vielfach wurde auch der Punkt „Wettbewerbsfähigkeit erhalten“ genannt.
Marlen Arnold: Interessanterweise ergaben die Rückmeldungen, dass den beiden Effekten Kostenreduzierung und Prozessverbesserung deutlich weniger Potenzial im Bereich der Nachhaltigkeit zugeschrieben wird als im Kontext der Digitalisierung. Beim Thema Nachhaltigkeit liegen für die Unternehmen das Entwickeln neuer Dienstleistungen und/oder Produkte sowie eine erhöhte gesellschaftliche Verantwortung gegenüber gegenwärtigen und zukünftigen Generationen vorn. 80 Prozent der Unternehmen geben auch an, dass Sie sich der eigenen Auswirkungen – zum Beispiel Schadstoffe – der Produktion auf die Umwelt bewusst sind. Weitere Treiber der Nachhaltigkeit für die Unternehmen sind die Anforderungen der Kundinnen und Kunden hin zur Nachhaltigkeit und auch die Imageförderung.
Thomas Pfaff: Diesen Umstand der teils sehr unterschiedlichen Bewertungen der Potenziale je nach Megatrend finden wir bemerkenswert, da die Digitalisierung meist als Wegbereiter für mehr Nachhaltigkeit gilt, wobei die Frage nach „Synergie oder Widerspruch?“ noch nicht umfänglich erforscht ist. Doch gerade bei dem von der Politik diskutierten digitalen Produktpass wird Digitalisierung als elementare Voraussetzung gesetzt, um die Ziele der Nachhaltigkeit zu erreichen. Es ist aber noch ein langer Weg, hin zu einem einheitlichen, branchen- und unternehmensübergreifenden Produktpass-System. Es liegen somit noch große Herausforderungen, politisch wie auch unternehmerisch, in naher Zukunft vor uns.
Welche Herausforderungen haben die Unternehmen in Ihrer Umfrage aufgeführt?
Marlen Arnold: Bei der Bestimmung der größten zu nehmenden Hürde auf dem Weg zu einer digitalen und nachhaltigen Produktion haben die Unternehmen gleichermaßen große Bedenken in Bezug auf einen zu hohen Ressourceneinsatz, sowohl finanziell als auch zeitlich. Eine Investition in die Zukunft ist aber notwendig, denn das aktuell vorherrschende lineare System vom Rohstoff über die Verwertung bis zum Wegwerfen und Entsorgen soll zu einer Kreislaufwirtschaft transformiert werden. Die Wichtigkeit der Entwicklung zu einer nachhaltigeren Textilindustrie wurde auf politischer Ebene erkannt und mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland sowie 2022 vor allem mit der „EU-Strategie für nachhaltige und zirkuläre Textilien“ konkretisiert. Jedoch weisen über 40 Prozent der befragten Unternehmen keine Kenntnis über eben diese EU-Strategie auf. Ein mögliches Indiz für das fehlende Bewusstsein für den Umfang der Thematik Nachhaltigkeit und die Notwendigkeit zu handeln. Dabei können digitale Lösungen unterstützen, insbesondere bei der Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle.
Thomas Pfaff: Die Auswertung der Umfrage zeigt, dass die Unternehmen intern für Umsetzung und Instandhaltung von digitalisierten Maßnahmen nicht genügend Know-how und Ressourcen zur Verfügung haben. Zum Beispiel gaben ca. die Hälfte der Unternehmen an, dass sie keine eigenen Fachabteilungen für Digitalisierung aufbauen werden bzw. können. In diesem Punkt ist sicherlich auch die kleinteilige Struktur der deutschen Textilindustrie nicht zu vernachlässigen. Die Unternehmen müssen nun aber in naher Zukunft nicht nur über Digitalisierung nachdenken, sondern diese auch umsetzen, um zukünftigen Anforderungen, welche ein gewisses Grundniveau der Digitalisierung der Geschäfts- und Produktionsprozesse voraussetzen, gerecht zu werden. Aus Kostengründen setzen Unternehmen vielfach auch auf Open Source-Software, also auf offene und erweiterbare digitale Systeme, um Anpassungen auf betriebliche Besonderheiten selbst durchführen zu können. Man hat so weniger Abhängigkeiten, aber trotz aller Entwicklungen im Bereich intuitiver und visueller Programmierung (bspw. low code) benötigt man auch hier IT-affine Mitarbeiter.
Welche Empfehlungen haben Sie an Unternehmen?
Thomas Pfaff: Aus unserer Sicht ist festzuhalten, dass Unternehmen einen hohen Unterstützungsbedarf haben. Sei es, um ihre Produktionsprozesse digitaler zu gestalten, um neue datenbasierte Geschäftsmodelle aufzubauen oder als Unternehmen nachhaltigere Produkte zu entwickeln. Hier empfehlen wir, vorhandene Netzwerke zu nutzen und/oder auszuweiten. Das bundesweite Netzwerk Mittelstand-Digital oder das Sächsische Transfer-Netzwerk der Innovationsplattform futureSAX bieten kostenfreie Unterstützung an, damit Unternehmen weiter Innovationen entwickeln und wettbewerbsfähig bleiben können.
Frau Professor Arnold, Herr Pfaff, wir danken Ihnen für das Gespräch.