"Wege finden, die auch für KMU realistisch umsetzbar sind"
Basierend auf den Erfahrungen mit dem IIoT-Demonstrator des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Textil vernetzt entstand die Idee, im Rahmen der Arbeit vom Mittelstand-Digital Zentrum Smarte Kreisläufe grundlegende Technologien und Lösungsansätze zu demonstrieren, mit denen KMU ihre Produktionsprozesse und Lieferketten transparenter gestalten können. Steffen Seeger vom Projektpartner in Chemnitz, dem Sächsischen Textilforschungsinstitut, STFI, gibt im Interview Einblicke, wie es zu der Idee kam, welche Herausforderungen bis zur Einführung des Demonstrators noch zu bewältigen sind und welche Funktionen den Unternehmen damit künftig zur Verfügung stehen.
Herr Seeger, das STFI ist maßgeblich daran beteiligt, einen Lieferkettendemonstrator für mittelständische Unternehmen zu erstellen. Wie kam es zu diesem Projekt?
Leistungsfähige Lieferketten sind ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen. Hinzu kommen neue regulatorische Anforderungen und Verpflichtungen für Unternehmen, wie z. B. der sogenannte Digitale Produktpass oder Transparenzpflichten nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Diese betreffen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zwar oft nicht direkt, allerdings werden sie häufig als Zulieferer für größere Unternehmen zu ähnlichen Anforderungen verpflichtet.
Zudem spielen verlässliche Informationen zur stofflichen Zusammensetzung von Produkten, Abfällen aus der Produktion und nach dem Ende einer Nutzungsphase eine wichtige Rolle für das Gelingen einer Kreislaufwirtschaft. Digitale Systeme für die Erhebung und den Austausch von Informationen zu Stoffen in Produkten und die für Produktion und Logistik aufgewendeten Ressourcen können deshalb in Zukunft einen eigenen Mehrwert für das Management und die Verbesserung der Effizienz von industriellen Wertschöpfungskreisläufen bieten.
Basierend auf unseren Erfahrungen mit dem IIoT-Demonstrator des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Textil vernetzt entstand die Idee, grundlegende Technologien und Lösungsansätze zu demonstrieren, mit denen KMU ihre Produktionsprozesse und Lieferketten transparenter gestalten können. Dazu haben wir uns ein realistisches Modell für einen komplexen Produktionsprozess ausgewählt: An den Standorten der einzelnen Partner wird schrittweise ein RFID-Tag ausgehend hergestellt: aus einzelnen Fäden werden Gewebelagen hergestellt, die mit Kupferkaschierung und Verbundmaterial zu einer Leiterplatte verpresst werden und schließlich mit einem Chip zum fertigen Tag bestückt. Anhand dieser Liefer- und Produktionskette möchten wir praktikable Ansätze aufzeigen, wie solche zukünftigen Informationssysteme umgesetzt werden können und welchen Mehrwert diese für die Partner in der Lieferkette haben können. Wir möchten damit KMU die Möglichkeit geben, sich frühzeitig mit diesen Entwicklungen auseinander zu setzen und für sich relevante Chancen erkennen zu können.
Sie haben die Federführung bei diesem Projekt übernommen. Welche Fragen mussten im Vorfeld geklärt werden? Und für welche Aufgaben zeichnete das STFI verantwortlich?
Am STFI erfolgt der Prozessschritt des Verpressens der Gewebelagen mit kupferkaschierten Folien zu einem Leiterplattenverbund. Zusätzlich ist meine Aufgabe die Koordination der konzeptionellen Weiterentwicklung und technischen Anpassungen des bestehenden Demonstrators an die Anforderungen unseres Lieferkettendemonstrators.
Zunächst haben wir unsere Demonstrator-Lieferkette dahingehend analysiert, welchen Nutzen eine bessere Information über die tatsächlichen Produktionsschritte für die einzelnen Lieferkettenpartner bieten kann. Insbesondere, wenn man auch eine zukünftig verbesserte Kommunikation über die gesamte Lieferkette einbezieht. Im nächsten Schritt haben wir dann herausgearbeitet, wann und wo welche Daten und Ereignisse dafür erhoben werden müssten, wie dies in den einzelnen Prozessschritten passieren kann und welche Szenarien wir im Rahmen unserer Ressourcen umsetzen und demonstrieren können. Daraus wiederum lässt sich abschätzen, welche Anpassungen des bestehenden Demonstrators bzw. Neuentwicklungen wir durchführen müssen. Dabei haben wir versucht, Wege zu finden, die auch für KMU realistisch umsetzbar sind.
Wo lagen die Herausforderungen bisher und wie haben Sie diese bewältigt?
Zunächst weisen schon so „einfache“ Lieferketten wie die zu unserem RFID-Tag komplexe Strukturen auf. Zusätzlich hat jeder Verarbeitungsprozess seine Besonderheiten sowie speziellen Anforderungen und Einschränkungen. Hinzu kommen noch die regulatorischen Vorgaben und Pflichten, die zu erfüllen sind (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) oder zum Teil erst noch festgelegt werden (Digitaler Produktpass). Schließlich muss auch die Wirtschaftlichkeit der angestrebten Lösung gegeben sein und in der Praxis gibt es noch verschiedene Reifegrade der Ausgangssituation in den Unternehmen.
Trotzdem lassen sich einige grundlegende Anforderungen und Lösungsansätze identifizieren, die die Voraussetzung für die zukünftigen Systeme für den Informationsaustausch in Lieferketten bilden. Zusätzlich gibt es für einige wichtige Teilaspekte schon heute interessante Lösungen in Branchen wie der Logistik, die sich auf die Produktion verallgemeinern und übertragen lassen. Und schließlich wird im Falle des Digitalen Produktpasses die Erarbeitung der regulatorischen Vorgaben durch die EU auch durch Projekte begleitet, die den Stand der Technik analysieren und sinnvolle Lösungsansätze entwickeln sollen, wie die regulatorischen Vorgaben umgesetzt werden könnten.
Wir versuchen so anhand unserer Beispiellieferkette die relevanten Technologien und den Stand der Technik zu identifizieren und praktische Lösungsansätze in typischen Anwendungsszenarien zu demonstrieren. Besonders wichtig sind dabei allgemein anwendbare Standards wie zum Beispiel für die Identifikation, die Erfassung, den Austausch und die Anwendung von objekt- bzw. produktbezogenen Informationen. Als Barcode und RFID-Marker begegnen uns diese fast bei jedem Einkauf. Sie ermöglichen aber viel mehr als nur eine schnelle Rechnungslegung an der Ladenkasse. Wir sind dankbar, mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Mittelstand-Digital Zentrum WertNetzWerke kompetente Partner zu haben, die Unternehmen und auch uns bei der Umsetzung unseres Demonstrators hilfreich unterstützen, zielgerichtet passende Lösungen zu finden.
Sie haben es schon angesprochen: Auf die Unternehmen kommen aktuell viele neue Berichtspflichten zu, Stichwort: Digitaler Produktpass oder Europäische Lieferkettenrichtlinie. Inwieweit kann der Lieferkettendemonstrator hier mittelständische Unternehmen unterstützen?
Eine Kernkomponente des Demonstrators sind beispielhafte Lösungen für die Nachverfolgung von Halbzeugen im technischen Bereich mittels RFID-Tag oder Barcodes. Diese sind die Grundlage für eine zuverlässige Nachverfolgung in Produktionsprozessen und wir möchten verständlich aufzeigen, wie so etwas praktisch umgesetzt werden kann. Letztlich bilden solche Systeme einen wichtigen Baustein für die Vereinfachung der erforderlichen Auswertungen für eine Berichtslegung, schaffen aber auch eine Datenbasis und Potenziale in anderen Bereichen.
Die EU-Lieferkettenrichtlinie erweitert ja vor allem die Pflichten für Unternehmen aus internationalen Umweltabkommen, z. B. werden Unternehmen verpflichtet, einen Plan zur Minderung ihres Einflusses auf den Klimawandel zu entwickeln und umzusetzen. Auch die Produktion und Verwendung gefährlicher Chemikalien und die Ein- und der Ausfuhr von Abfällen wird strenger geregelt. Und mit dem Digitalen Produktpass soll der Austausch von Informationen über Produkte zwischen Akteuren entlang von Wertschöpfungsketten und die Rückverfolgbarkeit von Produkten im Lebenszyklus verbessert werden.
Die direkt unter die Richtlinie fallenden großen Unternehmen benötigen daher von Ihren Zulieferern mehr und präzisere Informationen über die tatsächliche Zusammensetzung von Produkten und werden von ihren Zulieferern ähnliche Maßnahmen zur Reduktion ihres Einflusses auf den Klimawandel erwarten. Belastbare Daten aus den realen Prozessen im Unternehmen sehen wir als eine wichtige Grundlage, dafür effektive Ansätze zu entwickeln und richtige Entscheidungen zu treffen.
Welche Funktionen stehen den Unternehmen mit dem Demonstrator künftig konkret zur Verfügung?
In einer ersten Stufe werden wir demonstrieren, wie eine Nachverfolgung in verschiedenen Szenarien entlang unserer Beispiel-Lieferkette umgesetzt werden kann. Von verschiedenen Techniken für Identifizierung, Erfassung und Informationsaustausch bis hin zu Systemen im Hintergrund, die für einen sinnvollen Betrieb benötigt werden.
Wie geht es bei diesem Projekt weiter?
Zunächst planen wir eine gemeinsame Online-Veranstaltung der Umsetzungspartner, in der wir unsere Beispiellieferkette und die umgesetzten Lösungsansätze auch für Einsteiger vorstellen werden. Weiterhin wird es auch eine Broschüre geben, in der wir einen verständlichen Überblick geben. Im Anschluss sind vertiefende Vorträge und Veranstaltungen geplant, um Hintergrundwissen zu vermitteln und unsere Erfahrungen weiter zu geben. KMU bieten wir auch die Möglichkeit individueller Workshops, in denen wir gemeinsam passende Lösungsansätze finden.
Herr Seeger, wir danken für das Gespräch.
>> Lesen Sie auch Artikelserie zum Lieferketten-Demonstrator
In unserer Artikelserie zum Lieferketten-Demonstrator sprechen wir mit allen beteiligten Projektpartnern und erfahren, wie sie mitgewirkt haben, wo und vor welchen Fragen das Projekt steht und wie eine erfolgreiche Umsetzung gelingen kann. Alle bisher erschienenen Beiträge finden Sie hier.
Bei Fragen sprechen Sie uns gern an! Unsere Expertinnen und Experten unterstützen Sie und Ihr Unternehmen bei Fragen rund um Digitalisierungs-, KI- oder Kreislaufwirtschaftsthemen. E-Mail senden